Der Soundtrack zur Sommerromanze 2024: Mit „Sleep Now, In Reverse“ erschaffen IRESS schwül-sinnliche Doomgaze-Träume.
Es gibt Nächte, in denen die rot glühende Sonne wie in Zeitlupe untergeht und den orangefarbene Himmel wie eine Verheißung anmutet. Wenn die schwere Luft steht, am Rande der Dunkelheit, dann vermischt sich Traum mit Realität. In den Betten wird gewälzt, auf der Suche nach etwas Kühle, während es mit der Erotik nicht so weit her ist. Und doch gibt es um die Zeit von Canis Major eine Sinnlichkeit die lockt, mit Eros in Lauerstellung. All das gießen IRESS in ihr Album „Sleep Now, In Reverse“. Die kalifornische Doomgaze-Band hat schon auf ihrer letztjährigen EP „Solace“ eine gute Figur gemacht, also was soll an dem dritten Album der Band schiefgehen?
Michelle Malleys entwaffnende Stimme steht im Zentrum der Musik: „Sleep Now, In Reverse“ lässt hin und wieder vergessen, dass IRESS eine volle Band ist.
IRESS liegen mit ihren sinnlich-atmosphärischen Songs irgendwo zwischen KING WOMAN und HOLY FAWN, mit einem Hauch „White Pony“-DEFTONES und SLOWDIVE. Ganz klar, hier gibt es große Gefühle, und das, obwohl sich IRESS in Sachen Pathos zurückhalten. Sängerin Michelle Malley muss mit ihrer gehauchten, rauchigen Stimme ihre Lyrics nur hinaussingen und schon mit dem Opener „Falling“ mag man ihr verfallen. Bei dieser Stimme gerät die Band fast in Vergessenheit, doch Gitarrist Graham Walker, der mal wavige und mal breitwandige Riffs spielt, mal subtile Melodien aus sich fließen lässt und hin und wieder nur kleine Akzente setzt, kreiert zusammen mit der Rhythmuseinheit die Basis der Songs.
Auch wenn „Sleep Now, In Reverse“ zehn Songs lang vor sich hin schwelgt, unterscheiden sich die einzelnen Stücke voneinander. Da gibt es die nahezu metallische, bisweilen dramatische Heaviness in „The Remains“ und „Knell Mara“, die der Band etwas weniger gut steht als die schwebende Melancholie von „Leviathan (The Fog)“ uns „In Reverse“. Und doch funktionieren beide Pole von IRESS, gerade wenn sie wie in „Ever Under“ und „The Remains aufeinander treffen. So schafft die Formation es, dass „Sleep Now, In Reverse“ in sich geschlossen klingt und subtil abwechslungsreich ist. IRESS funktionieren als Quartett, setzen keine großen Soundeffekte ein, jedes der Bandmitglieder hat im Soundbild seinen Platz. Und genau hier ist die Erfahrung der seit 2010 aktiven Band spürbar.
IRESS balancieren zwischen Verträumtheit und Heaviness: „Sleep Now, In Reverse“ ist gerade dann am besten, wenn beide Pole verbunden werden.
„Sleep Now, In Reverse“ ist gleichermaßen heavy und gefühlvoll, kann aber nicht immer zupacken. Zwischendurch gibt es da einige Momente, in denen sich die Musik ein wenig zieht, hin und wieder wirken die Instrumentalisten zudem etwas unterspannt – siehe „Mercy“ – und könnten etwas zwingender agieren. Und doch klimaxen IRESS mit dem unfassbar schönen „Sanctuary“, das sich zu einem kleinen Epos mausert und das Album sehr versöhnlich enden lässt. Am Ende der 50 Minuten ist von Abkühlung keine Spur – durch IRESS fühlt sich die Nacht noch etwas schwüler an. Der Soundtrack zur Sommerromanze? Bestimmt. Ob aus dieser Affäre eine Langzeitbeziehung wird? Die Chancen stehen nicht schlecht.
Wertung: 7,5 von 10 Pfeile Armors