Entspanntes Träumen in anderen Welten.
Als es in der Redaktion mal wieder darum ging, die aktuellen Bemusterungen zu verteilen, stand hinter "Sleep Now, In Reverse" von IRESS die wunderbar unkonkrete und für viele Metaller wohl antagonistische Genrebezeichnung "Pop/Metal". Obwohl die Begriffe wie Gegensätze wirken, sind sie im modernen Metal wohl eher Symbiose. Man denke nur mal an Bands wie SPIRITBOX, SLEEP TOKEN oder FUTURE PALACE, die harte Gitarrenklänge mit Ausflügen in den modernen Elektro-Pop verbinden. Gerade diese ungenaue Beschreibung der Musik weckte meine Neugierde, ohne jemals auch nur irgendetwas von der Band mitbekommen zu haben.
Tatsächlich handelt es sich bei "Sleep Now, In Reverse" bereits um das vierte Album der Band IRESS, die sich im Jahr 2010 in Los Angeles gegründet hat. Allerdings sind ihre ersten drei Platten ohne Label und im Eigenvertrieb erschienen, weshalb der Bekanntsheitsgrad der Truppe vor allem in Europa äußerst gering ist. Erst seit 2023 haben sie zumindest drei Singles in den USA über Dune Altar vertrieben. Das neue Album erscheint nun auch in Europa via Church Road Records.
Völlig ohne musikalische Vorahnung hörte ich also in die Platte rein. Der Opener 'Falling' beginnt mit ruhiger Gitarre und etwas Snare auf dem Schlagzeug, etwas später zünden die ersten verzerrten Sechssaiter. Fahrt nimmt der Track jedoch nicht auf, es kommen erste Gedanken an eine Band wie SLOWDIVE oder auch an die Künstlerin CHELSEA WOLFE auf. Wir befinden uns hier also nicht in einer modernen Symbiose aus Metal und Pop, es geht viel sanftmütiger daher. Dadurch lässt sich die Genrezuschreibung deutlich präziser fassen. Die Musik von IRESS schwankt irgendwo zwischen härterem Shoegaze, Slowcore und Atmosphere/Ambient.
Der fast schon traditionelle Nachteil an dieser Musikmischung ist, dass die Lieder alle sehr ähnlich klingen. Selbst nach mehrmaligem Hören kann kaum unterschieden werden, um welchen Track es sich genau handelt. Allerdings ist das wohl eher als zweitrangig zu betrachten, denn es geht auf "Sleep Now, In Reverse" um das Erzeugen einer Atmosphäre, die einen in andere Welten entführt. Kräfte, aber ruhige Gitarrenwände ohne Hektik treffen auf die herausragende melancholische Stimme von Michelle Malley, die in der lokalen Szene von Los Angeles bereits als "Adele of Doom" bezeichnet worden ist und deren Gesang ein wenig an Stefanie Mannaerts von BRUTUS, aber ohne Wutausbrüche erinnnert.
"Sleep Now, In Reverse" von IRESS ist ein spannender Longplayer geworden. Auch wenn keine einzelnen Songs hervorstechen, funktioniert die Scheibe mit ihrem Gesamtkonzept wunderbar. Wenn man sich auf die Musik einlässt, kann sie einen aus dem Alltag herausholen, zum Träumen einladen und in entspannte Sphären katapultieren.